Tunesische Verfassung

Beschluss der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung zur Proklamation der Republik Präambel

  1. Allgemeine Bestimmungen Grundrechte
  2. Die Gesetzgebende Gewalt
  3. Die Ausführende Gewalt
  4. Die Richterliche Gewalt
  5. Der Oberste Gerichtshof
  6. Der Staatsrat
  7. Der Wirtschafts- und Sozialrat
  8. Die Örtlichen Gemeinschaften
  9. Revision der Verfassung
  10. Übergangsbestimmungen
Im Jahr 2002 wurden folgende Änderungen durch eine Volksabstimmung vorgenommen:
Am 26.05.2002 wurde eine Volksabstimmung durchgeführt und wesentliche Punkte in der Verfassung wurden geändert.

Unter anderem kann der amtierende Präsident Herr Ben Ali, dessen Amtszeit bisher nach der dritten Amtsperiode 2004 geendet hätte, wieder gewählt werden.
Die Beschränkung auf maximal drei Amtsperioden wurde völlig aufgehoben.
Die Altersbegrenzung für das Präsidentenamt wurde von 70 auf 75 Jahre angehoben.
2002 war Präsident Ben Ali 65 Jahre alt und kann somit noch weitere 10 Jahre im Amt bleiben, bis er das 75. Lebensjahr erreicht. Er wäre dann insgesamt 27 Jahre Präsident von Tunesien gewesen. Diese Zustimmung zu dieser Änderungen betrug 99,59 %.

BESCHLUSS DER NATIONALEN VERFASSUNGGEBENDEN VERSAMMLUNG ZUR PROKLAMATION DER REPUBLIK
Wir, Abgeordnete der Tunesischen Nation, Mitglieder der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung, Kraft der uns vom Volke übertragenen Vollmacht,

in der Absicht, die Grundlagen der Unabhängigkeit des Staates und der Souveränität des Volkes zu stärken, im Hinblick darauf, jene demokratische Regierungsform zu schaffen, welche diese Versammlung mit der Ausarbeitung der Verfassung anstrebt, Fassen im Namen des Volkes mit sofortiger Wirkung den folgenden Beschluss:

1. Wir erklären die Monarchie für endgültig abgeschafft.

2. Wir erklären, dass Tunesien ein republikanischer Staat ist.

3. Wir übertragen die Würde des Staatschefs an Herrn Habib Bourguiba, den Präsidenten des Ministerrats, unter den gegenwärtigen Bedingungen bis zur Inkraftsetzung der Verfassung, und verleihen ihm den Titel des « Präsidenten der Tunesischen Republik ».

4. Die Regierung ist beauftragt, diesen Beschluss auszuführen und alle Maßnahmen zu treffen, die nötig sind, um die republikanische Staatsform zu gewährleisten, wir beauftragen außerdem den Präsidenten dieser Versammlung, den Generalsekretär des Bureaus dieser Versammlung, sowie die Regierung, diesen Beschluss zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.

Gegeben am Sitz der Versammlung im Bardo den 26. Doul Hidja t376 (25. Juli 1957) um 18 Uhr

Der Präsident der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung Jelloull FARES

Präambel
Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen!

Wir, Abgeordnete des tunesischen Volkes, Vereinigt in der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung, VERKÜNDEN den Willen dieses Volkes, das sich dank seiner machtvollen Einigkeit und dank dem Kampf, den es der Tyrannei, der Ausbeutung und dem Rückschritt lieferte, von der Fremdherrschaft befreit hat.

– die nationale Einheit zu festigen und den menschlichen Werten treu zu bleiben, welche das gemeinschaftliche Erbe aller Völker darstellen, die an der Würde des Menschen, an der Gerechtigkeit und an der Freiheit festhalten und für den Frieden, den Fortschritt und die freie Zusammenarbeit der Nationen wirken;

– treu zu bleiben den Lehren des Islam, der Einheit des Groß – Maghreb, seiner Zugehörigkeit zur arabischen Völkerfamilie, der Zusammenarbeit mit den afrikanischen Völkern zum Aufbau einer besseren Zukunft, wie auch mit allen Völkern, die für Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen;

– eine Demokratie zu errichten, welche auf der Volkssouveränität aufgebaut und durch eine stabile, auf der Trennung der Gewalten fußende Regierungsform gekennzeichnet ist.
Wir erklären, dass die Republik die Staatsform ist, welche die Achtung der Menschenrechte und die Wahrung der Gleichheit angesichts der Rechte und Pflichten für alle Bürger am besten gewährleistet; dass sie das wirksamste Mittel ist, um den Wohlstand der Nation durch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Nutzung seiner Reichtümer zum Vorteil des Volkes zu fördern, sowie den Schutz der Familie und das Recht jedes Bürgers auf Arbeit, Gesundheitsschutz und Bildung sicherzustellen.

Wir, Vertreter des freien und souveränen tunesischen Volkes, BESCHLIESSEN durch die Gnade Gottes die gegenwärtige Verfassung.


Kapitel I Allgemeine Bestimmungen (Grundrechte)

Artikel l
Tunesien ist ein freier Staat, unabhängig und souverän, seine Religion ist der Islam, seine Sprache das Arabische, und seine Staatsform die Republik.

Artikel 2
Die Tunesische Republik bildet einen Teil des Groß-Maghreb, an dessen Einigung sie im Rahmen der gemeinsamen Interessen mitwirkt.

Artikel 3
Die Staatsgewalt geht vom tunesischen Volke aus. Sie wird vom Volke im Rahmen der Verfassung ausgeübt.

Artikel 4
Die Flagge der Tunesischen Republik trägt einen weißen Kreis auf rotem Feld; der Kreis ist belegt mit dem roten, fünfzackigen Stern, umgeben vom roten Halbmond. Die Größenverhältnisse werden durch Gesetz bestimmt.

Die Devise der Republik lautet: Freiheit, Ordnung, Gerechtigkeit.

Artikel 5
Die Tunesische Republik gewährleistet die Würde der Person und die Freiheit des Gewissens. Und schützt die freie Ausübung der Religion, soweit die Öffentliche Ordnung dadurch nicht gefährdet wird.

Artikel 6
Alle Bürger haben gleiche Rechte und Pflichten. Sie sind vor dem Gesetze gleich.

Artikel 7
Die Bürger verfügen über alle ihre Rechte unter den vom Gesetz vorgesehenen Formen und Bedingungen. Die Ausübung dieser Rechte findet ihre Schranken allein im Gesetz zum Schutze der Rechte anderer, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der nationalen Verteidigung, der wirtschaftlichen Entwicklung und des sozialen Fortschritts.

Artikel 8
Die Gedankenfreiheit, das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu veröffentlichen, die Versammlungs- und Vereinsfreiheit sind gewährleistet und werden im Rahmen des Gesetzes ausgeübt.
Das Recht zur Bildung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden ist gewährleistet.

Artikel 9
Die Wohnung, sowie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich, ausgenommen in außerordentlichen, vom Gesetz vorgesehenen Fällen.

Artikel 10
Jeder Bürger hat das Recht, sich im Rahmen des Gesetzes auf dem Landesgebiet frei zu bewegen, es zu verlassen und darauf seinen Wohnsitz zu wählen.

Artikel 11
Kein Bürger darf des Landes verwiesen oder daran gehindert werden, in sein Heimatland zurückzukehren.

Artikel 12
Jeder einer strafbaren Handlung Verdächtigte hat so lange als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld durch ein Gerichtsverfahren erwiesen ist, welches ihm die zu seiner Verteidigung notwendigen Sicherheiten bietet.

Artikel 13
Die Strafe ist persönlich und kann nur für eine Tat ausgesprochen werden, deren Strafbarkeit vor der Tat gesetzlich bestimmt war.

Artikel 14
Das Recht auf Eigentum ist gewährleistet. Inhalt und Schranken seiner Ausübung sind durch Gesetz bestimmt.

Artikel 15
Die Verteidigung des Vaterlandes und der Unverletzlichkeit des Hoheitsgebietes ist für jeden Staatsbürger eine geheiligte Pflicht.

Artikel 16
Die Bezahlung der Steuern und der Beitrag an die öffentlichen Lasten sind nach dem Grundsatz der Billigkeit eine Pflicht für jedermann.

Artikel 17
Politische Flüchtlinge dürfen nicht ausgeliefert werden.

Kapitel II Die gesetzgebende Gewalt

Artikel 18
Die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt obliegt dem Volke, vertreten durch eine Versammlung von Abgeordneten, genannt « Nationalversammlung ».

Artikel 19
Die Nationalversammlung wird in allgemeiner, freier, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt. Das Nähere bestimmt das Gesetz.

Artikel 20
Wahlberechtigt ist jeder Bürger, der die tunesische Staatsbürgerschaft seit mindestens fünf Jahren besitzt und das zwanzigste Altersjahr vollendet hat.

Artikel 21
Für die Nationalversammlung wählbar ist jeder Wahlberechtigte väterlicherseits tunesischer Abstammung, der das dreißigste Altersjahr vollendet hat.

Artikel 22
Die Nationalversammlung und der Präsident der Republik werden gleichzeitig auf fünf Jahre gewählt. Die Neuwahl findet innerhalb der letzten dreißig Tage vor Ablauf ihrer Amtsdauer statt.

Artikel 23
Sollte es sich im Kriegsfall oder infolge unmittelbar drohender Gefahr als unmöglich erweisen, innerhalb nützlicher Frist Neuwahlen durchzuführen, wird das Mandat der Nationalversammlung und des Präsidenten der Republik durch ein Gesetz bis zu dem Zeitpunkt verlängert, wo es möglich wird, zu Neuwahlen zu schreiten.

Artikel 24
Der Sitz der Nationalversammlung ist Tunis mit seinen Vororten. Die Nationalversammlung kann bei Eintreten außerordentlicher Umstände an jedem anderen Ort tagen.

Artikel 25
Jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes.

Artikel 26
Ein Abgeordneter darf wegen Meinungsäußerungen, Vorschlägen oder Handlungen, die er in Ausübung seines Amtes in der Versammlung gemacht hat, weder zur Verantwortung gezogen, noch verhaftet oder gerichtlich verfolgt werden.

Artikel 27
Kein Abgeordneter kann während seiner Amtsdauer wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, bevor die Nationalversammlung ihn des Schutzes seiner parlamentarischen Immunität verlustig erklärt hat. Es sei denn, er werde bei Begehung der Tat festgenommen: in diesem Falle ist die Nationalversammlung unverzüglich davon zu benachrichtigen. Die Freiheitsbeschränkung eines Abgeordneten ist aufgehoben, wenn die Nationalversammlung dies verlangt.

Artikel 28
Der Nationalversammlung obliegt die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt. Gesetzesvorlagen werden sowohl durch den Präsidenten der Republik als auch aus der Mitte der Nationalversammlung eingebracht, wobei Vorlagen des Präsidenten der Republik mit Vorrang behandelt werden.

Die Nationalversammlung kann den Präsidenten der Republik für befristete Zeit und einen bestimmten Zweck ermächtigen, Gesetze auf dem Verordnungsweg zu erlassen; solche Gesetzesverordnungen unterliegen, bei Ablauf der Frist, der Genehmigung durch die Nationalversammlung.

Artikel 29
Die Nationalversammlung tritt zwei Mal im Jahr zu ordentlicher Sitzung zusammen, deren Dauer durch Gesetz bestimmt wird und in keinem Fall drei Monate überschreiten darf. Die Versammlung kann auf Verlangen des Präsidenten der Republik oder der Mehrheit der Abgeordneten in außerordentlicher Sitzung zusammentreten.

Artikel 30
Die Nationalversammlung wählt aus ihrer Mitte ständige Ausschüsse, deren Tätigkeit zwischen den Sitzungen fortgeführt wird.

Artikel 31
Der Präsident kann zwischen den Sitzungen der Nationalversammlung, im Einvernehmen mit dem Jeweils zuständigen Ausschuss der Versammlung, Gesetze auf dem Verordnungswege erlassen; solche Gesetzesverordnungen sind der National Versammlung anlässlich ihrer nächstfolgenden ordentlichen Sitzung zur Genehmigung vorzulegen.

Artikel 32
Bei Eintreten unmittelbar drohender Gefahr, welche die Grundordnung der Republik, die Sicherheit oder Unabhängigkeit des Landes in Frage stellt und die ordnungsgemäße Funktion der öffentlichen Organe behindert, kann der Präsident der Republik die von den Umständen geforderten außerordentlichen Maßnahmen treffen. Diese Notmassnahmen verlieren ihre Rechtskraft nach Beseitigung der Umstände, die zu ihnen Anlass gegeben haben. Der Präsident der Republik erlässt im Falle solcher Maßnahmen eine Botschaft an die Nationalversammlung.

Artikel 33
Der Haushaltsplan des Staates ist der Nationalversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen.

Artikel 34
Ein Gesetz bestimmt die Grundsätze, nach denen der Haushaltsplan entworfen und der Nationalversammlung vorgelegt werden soll, und setzt das Rechnungsjahr fest.

Artikel 35
Über den Haushalt des Staates beschließt die Nationalversammlung.

Artikel 36Staatssteuern, öffentliche Anleihen und finanzielle Verpflichtungen können beschlossen werden.

Kapitel III Die ausführende Gewalt

Artikel 37
Staatsoberhaupt ist der Präsident der Republik. Seine Religion ist der Islam.

Artikel 38
Der Präsident der Republik übt die ausführende Gewalt im Rahmen der Verfassung aus. Er wacht über die Wahrung der Verfassung.

Artikel 39
Als Präsident der Republik wählbar ist jeder Tunesier, dessen Vater und Großvater als Tunesier geboren sind und ohne Unterbruch die tunesische Staatsbürgerschaft besessen haben; er soll mindestens vierzig Jahre alt sein und im vollen Genuss seiner bürgerlichen Ehren und Rechte stehen. Die Anmeldung der Kandidatur ist in einem besonderen Register einzutragen, das von einer Kommission unter dem Vorsitz des Präsidenten der Nationalversammlung geführt wird, welcher als vier Mitglieder angehören: der Mufti von Tunesien, der Erste Präsident des Kassationsgerichts, der Erste Präsident des Appellationsgerichts und der Erste Staatsanwalt der Republik.

Die Kommission bestimmt über die Rechtmäßigkeit der Kandidatur und verkündet das Ergebnis der Wahl. Die Anmeldefrist für die Kandidaturen beginnt zwei Monate vor dem Datum der Wahl und dauert 30 Tage; der erste Monat bleibt der Erstellung der Kandidatenliste vorbehalten.

Artikel 40
Der Präsident der Republik wird in allgemeiner, freier, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt; wahlberechtigt sind die gemäß Artikel 20 bezeichneten Wähler. Eine Wiederwahl kann nicht mehr als drei Mal hintereinander erfolgen.

Artikel 41
Vor seinem Amtsantritt leistet der Präsident der Republik vor der Nationalversammlung den folgenden Eid:

« Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, die nationale Unabhängigkeit und die Unverletzlichkeit des Landes zu bewahren, die Verfassung und das Gesetz zu achten und die Interessen der Nation gewissenhaft zu wahren. »

Artikel 42
Der Amtssitz des Präsidenten der Republik ist Tunis mit seinen Vororten.

Artikel 43
Der Präsident der Republik bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik, wacht über ihre Ausführung und erstattet über deren Entwicklung Bericht an die Nationalversammlung. Er ernennt die Mitglieder seiner Regierung; diese sind ihm gegenüber verantwortlich.

Der Präsident der Republik verkehrt mit der Nationalversammlung entweder direkt oder auf dem Botschaftswege.

Artikel 44
Der Präsident der Republik verkündet die Verfassungs- und ordentlichen Gesetze und sorgt für ihre Veröffentlichung im Staatsblatt (Journal Officiel) binnen fünfzehn Tagen nach deren Übermittlung durch den Präsidenten der Nationalversammlung.

Der Präsident der Republik ist berechtigt, einen Gesetzesantrag innerhalb dieser Frist zu einer zweiten Lesung an die Nationalversammlung zurückzuweisen. Wird dieser Antrag von der Nationalversammlung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder gutgeheißen, so gilt das Gesetz als verkündet, und es ist innerhalb einer zweiten Frist von fünfzehn Tagen zu veröffentlichen.

Artikel 45
Der Präsident der Republik wacht über die Ausführung der Gesetze. Er ist Dienstherr des zivilen und militärischen Personals.

Artikel 46
Der Präsident der Republik hat die oberste Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte.

Artikel 47
Der Präsident der Republik beglaubigt die politischen Vertreter bei den ausländischen Mächten; die politischen Vertreter des Auslandes sind bei ihm akkreditiert.

Artikel 48
Verträge mit ausländischen Staaten bedürfen der Zustimmung der Nationalversammlung, um gesetzlich bindende Kraft zu erlangen. Die Geltung ordentlich ratifizierter Staatsverträge hat den Vorrang vor dem Gesetz, selbst wenn sie zu diesem in Widerspruch stehen.

Artikel 49
Der Präsident der Republik ratifiziert die Verträge mit ausländischen Staaten. Er erklärt Krieg und schließt Frieden mit Zustimmung der Nationalversammlung.

Artikel 50
Der Präsident der Republik übt das Begnadigungsrecht aus.

Artikel 51
Bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch Todesfall oder Demission, oder im Falle gänzlicher Verhinderung, bezeichnet die Regierung aus ihrer Mitte einen Stellvertreter, um vorübergehend und einstweilig die Befugnisse des Präsidenten der Republik wahrzunehmen; die Regierung übermittelt die Designations-Urkunde unverzüglich an den Präsidenten der Nationalversammlung.

Die Nationalversammlung vereinigt sich, auf Einberufung durch ihren Präsidenten, im Lauf der fünften Woche nach Eintritt der Vakanz, um für die verbleibende Amtszeit unter den Kandidaten, welche den Bestimmungen gemäß Artikel 39 genügen, einen neuen Präsidenten der Republik zu wählen.

Dies erfolgt in geheimer Wahl nach dem absoluten Mehr; wird die Mehrheit der Mitgliederstimmen in zwei Wahlgängen von keinem der Bewerber erreicht, gilt im dritten Wahlgang, der vierundzwanzig Stunden nach dem zweiten erfolgen soll, die relative Stimmenmehrheit.

Kapitel IV Die richterliche Gewalt

Artikel 52
Die Rechtsprechung wird im Name des Volkes ausgeübt; die Urteile werden im Namen des Präsidenten der Republik vollstreckt.

Artikel 53
Die richterliche Gewalt ist unabhängig; die Richter sind in der Ausübung ihres Amtes nur durch das Gesetz gebunden.

Artikel 54
Amtspersonen mit richterlichen Funktionen werden‘ auf Antrag des Obersten Rates der Magistratur (Conseil Superieur de la Magistrature) vom Präsidenten der Republik durch Erlass ernannt. Ihre Anstellungsbedingungen werden durch Gesetz geregelt.

Artikel 55
Der Oberste Rat der Magistrate, dessen Zusammensetzung und Zuständigkeit durch Gesetz umschrieben werden, beaufsichtigt die Anwendung der Garantien welche Amtspersonen mit richterlichen Funktionen in Bezug auf Ernennung, Beförderung, Versetzung und Disziplin gewährt sind.

Kapitel V Der oberste Gerichtshof

Artikel 56
Der Oberste Gerichtshof tritt zusammen im Falle von Hochverrat, begangen durch ein Mitglied der Regierung. Zuständigkeit und Einrichtung des Obersten Gerichtshofes, sowie das vor ihm einzuhaltende Verfahren, werden durch Gesetz geregelt.
Kapitel VI Der Staatsrat

Artikel 57
Der Staatsrat (Conseil d’Etat) besteht aus zwei Behörden:

Ein Rechnungshof, der die Aufgabe hat, die Haushaltsrechnung des Staates zu prüfen und darüber an den Präsidenten der Republik und an die Nationalversammlung Bericht zu erstatten. 1. Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche über Streitigkeiten zwischen Privatpersonen einerseits und dem Staate oder öffentlichrechtlichen Körperschaften anderseits zu erkennen hat, sowie über Beschwerden wegen Missbrauchs der öffentlichen Gewalt; 2. Einrichtung und Befugnisse des Staatsrates, sowie das vor dieser Gerichtsbarkeit einzuhaltende Verfahren werden durch Gesetz geregelt.

Kapitel VII Der Wirtschafts- und Sozialrat

Artikel 58
Der Wirtschafts- und Sozialrat ist eine Versammlung mit beratenden Aufgaben in wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten. Seine Einrichtung und seine Beziehungen zur Nationalversammlung werden durch Gesetz festgelegt.

Kapitel VIII Die örtlichen Gemeinschaften

Artikel 59
Für die Führung der örtlichen Geschäfte sind die Gemeinde- und Regional-Versammlungen zuständig, unter den vom Gesetz vorgesehenen Bedingungen.

Kapitel IX Revision der Verfassung

Artikel 60

Der Präsident der Republik oder mindestens ein Drittel der Mitglieder der Nationalversammlung können eine Revision der Verfassung beantragen, unter der Voraussetzung, dass diese die republikanische Staatsform nicht beeinträchtigt.

Artikel 61
Die Nationalversammlung kann nur auf Grund eines nach dem absoluten Mehr gefassten Beschlusses auf den Revisionsantrag eintreten, nachdem die Nationalversammlung den Revisionsantrag durch die Zustimmung von zwei Dritteln gebilligt hat.

Die Verfassung kann erst revidiert werden, nachdem die Nationalversammlung den Revisionsantrag durch die Zustimmung von zwei Dritteln ihrer Mitglieder nach zwei Lesungen gutgeheißen hat, deren zweite mindestens drei Monate nach der ersten erfolgen soll.

Artikel 62
Das Gesetz zur Verfassungsänderung wird vom Präsidenten der Republik in der Form eines Verfassungsgesetzes gemäß Artikel 44 verkündet.

Kapitel X Übergangsbestimmungen

Artikel 63
Diese Verfassung wird vom Präsidenten der Republik am 25. Doul Kaada 1378 und l. Juni 1959 in einer Sitzung der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung verkündet und veröffentlicht; diese Versammlung bleibt bis zur Wahl und zum Amtsantritt der Nationalversammlung im Amte.

Artikel 64
Diese Verfassung tritt, nach ihrer Verkündigung gemäß Artikel 63, mit dem Tage ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Bis zur Wahl des Präsidenten der Republik und der Nationalversammlung, die im November 1959 stattfinden soll, bleibt die gegenwärtige, auf Grund des Beschlusses der Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung vom 26. Doul Hidja 1376 – 25. Juli 1957 – bestehende Einrichtung der staatlichen Organe in Kraft. Die erste Sitzung der ersten Nationalversammlung wird am gegenwärtigen Sitz der Versammlung abgehalten, am Nachmittag des zweiten Donnerstags nach den Wahlen.

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